Geschichte

Vom Asyl zur St. Raphael Kinder- und Jugendhilfe

Am 15. Mai 1889 wurden die ersten Statuten unserer Stiftung unterschrieben. Diese „Statuten der Erziehungsanstalt zum heiligen Raphael“ wurden vom damaligen katholischen Ortspfarrer Roman Remlinger, von Oberamtmann Kilbel aus Crailsheim, von Dekan Schmied von Schönenberg und vom Schulinspektor Schmitt aus Crailsheim unterschrieben. Damit war der Start für ein großartiges Werk gegeben, das für eine ungemein große Zahl junger Menschen Unterstützung ihrer Bildung, Erziehung und Entwicklung bedeutete. Von Anfang an waren die Vinzentinerinnen mit eingebunden.

Schwester Genovefa wird in der Chronik als erste Ordensschwester in der Geschichte der Einrichtung genannt. Sie sorgte damals für Bettzeug und weitere Ausstattung. Als die Einrichtung ihre Tätigkeit aufnahm übernahm Schwester Genovefa gemeinsam mit zwei Mitschwestern und einem Lehrer die Aufgabe, die Schüler des Ortes zu unterrichten.

Die erste „stationäre“ Aufnahme erfolgte am 09. Dezember 1889. Dieser erste „Zögling“ hieß Johannes und war elf Jahre alt. Weihnachten 1889 wurde mit dem einzigen Zögling gefeiert. Die weiteren Jahre brachten eine wachsende Schar Kinder. Meist waren es die Händler aus Unterdeufstetten, die ihre Kinder in die Obhut von St. Raphael gaben, solange sie im ganzen Land umher reisten, um ihre Geschäfte zu tätigen. So konnten die Kinder eine gute schulische Bildung erfahren und zum Ende der Saison im Herbst in ihre Familien zurückkehren.
Die Jahrzehnte brachten immer wieder neue Nöte, denen sich St. Raphael stellen konnte. Kinder der Marienpflege wurden im Verlauf des 2. Weltkrieges ebenso in Unterdeufstetten betreut, wie durch Luftangriffe gefährdete Kinder aus Westfalen und dem Rheinland. Und immer waren die Schwestern aus der Ordensgemeinschaft des hl. Vinzenz von Paul im Einsatz für die jeweils im Asyl lebenden Kinder. Ihr unermüdlicher Einsatz und die Treue des Mutterhauses zur Einrichtung, führte St. Raphael durch viele stürmische und vor allem sehr armselige Zeiten. Eine große Zahl Schwestern stellte ihre Begabung und ihre Liebe den anvertrauten Kindern zur Verfügung. Unzählige Kinder fanden Schutz.

Bereits 1947 wird in der neuen Satzung davon berichtet, dass nicht mehr nur die Händlerkinder aufgenommen werden. Die „St. Raphaelspflege Unterdeufstetten“ ist eine kirchliche Stiftung, die „erziehungs- und heimbedürftige Kinder“ aufnimmt.

Im Jahr 1962 wird die Satzung erneut überarbeitet. Erstmals werden im Zusammenhang mit der Stiftung die Namen der Herren Blank und Schenk genannt. Im Jahr 1981 traten der Sohn von Herrn Blank und der Enkel von Herrn Schenk in den Verwaltungsrat der Einrichtung ein. Beide sind bis zum heutigen Tag im Stiftungsrat vertreten. Wiederum wird die Einrichtung von der großen Treue der Verantwortlichen getragen.

Die Jahre zwischen 1947 bis 1980 bringen bewegte Zeiten mit vielfältigen pädagogischen Aufträgen. Eine fast unglaubliche Zahl an Kindern wird in den Räumen von St. Raphael erzogen. Ständig muss angebaut oder umgebaut werden. Die pädagogischen und finanziellen Herausforderungen sind enorm.

Am 01. Oktober 1983 übernimmt Schwester Irmlinde Erzberger das Amt der Heimleitung. Zum Zeitpunkt des Amtsantrittes ist das Kinderheim, wie so oft schon vorher in einer Krise. Die Belegung ist sehr niedrig. Die Konzeption ist fortschreibungsbedürftig. Zusätzliches weltliches Personal ist schwer zu finden. Schwester Irmlinde befürchtete, dass der Fortbestand von St. Raphael in Gefahr ist. Nachbareinrichtungen in der Region waren bereits geschlossen worden. Würde es ihr Auftrag sein, die Schließung der Einrichtung zu begleiten? Bereits wenige Wochen nach Amtsantritt gelingt es Schwester Irmlinde mit Unterstützung des damaligen Jugendamtleiters des Landkreises Schwäbisch Hall, Herrn Bucholz, weitere wichtige Verbündete im Oberschulamt, bei der Diözese und bei der Gemeinde zu finden. Innerhalb weniger Wochen wird die Konzeption fortgeschrieben. Hier macht sich vor allem der damalige Psychologe der Einrichtung, Herman Seubert, gemeinsam mit Schwester Irmlinde, sehr verdient. In einem beispiellosen Schulterschluss zwischen örtlichem Jugendamt, Oberschulamt, Gemeinde und Kinderheim gelingt es, eine öffentliche Sonderschule für Erziehungshilfe in Fichtenau anzusiedeln.

Die Oberlin-Schule Fichtenau kann einem großen Teil der im Kinderheim betreuten Kinder die angemessene schulische Förderung bieten. Die Belegungszahlen steigen wieder bis zur Vollbelegung an. Eine sehr erfolgreiche und für alle Seiten gewinnbringende Zusammenarbeit war begonnen. Unter der Führung von Schwester Irmlinde gelang es in den folgenden 23 Jahren die Einrichtung stetig weiter zu entwickeln und differenzierte Angebote zu schaffen.

 
 

Heute ist St. Raphael eine moderne Jugendhilfeeinrichtung mit stationären, teilstationären und ambulanten Angeboten, die über den gesamten Landkreis verteilt sind. Insgesamt werden fast hundert Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene und ihre Familien gefördert.

Der Dienst der Schwestern aus Untermarchtal endete mit dem Jahresende 2006. Tief bewegt und sehr traurig wurden unsere Schwestern verabschiedet. Nach dem plötzlichen Tod von Schwester Irmlinde am 10. Oktober 2006 war dieser Abschied besonders traurig geworden.

Nun muss St. Raphael ohne die Unterstützung der Schwestern zu Recht kommen. Im Gebet verbunden tragen sie zwar noch mit. Das „praktische Anpacken“, das freundliche „Heimat geben“ und das „Immer da sein“ ist ihnen aber nun verwehrt. Wir vermissen unsere Schwestern sehr und sind dankbar für ihr Wirken in den 117 Jahren seit der Gründung unserer Stiftung.

Ein herzliches Vergelt`s Gott den Vinzentinerinnen von Untermarchtal!